Bis auf den letzten Krümel
Das Verschwenden von Lebensmitteln findet niemand gut. Trotzdem werden jedes Jahr 1,3 Milliarden Tonnen genießbare Lebensmittel gar nicht erst geerntet oder später in den Müll geworfen. Das ist etwa ein Drittel der gesamten Weltproduktion. Was können wir dagegen tun?
Vor allem private Haushalte werfen viele Lebensmittel weg. Sie sind in Deutschland für rund 59% der Gesamtabfälle verantwortlich.
Pro Person wandern so etwa 78 Kilogramm Lebensmittel im Jahr in den Müll.
Das ist so viel, dass die gesamte Bevölkerung Togos über ein Jahr lang ernährt werden könnte.
Backwaren werden besonders häufig weggeworfen
Wir beginnen den Tag mit einem kurzen Stop beim Bäcker, um eine frische Brezel mitzunehmen, in der Pause am Nachmittag gibt es ein französisches Croissant und zur Suppe am Abend gehört ein Stück Walnussbrot.
Fast 90% der Deutschen essen täglich mindestens einmal Backwaren. Insgesamt gibt es in Deutschland über 3200 eingetragene Brotsorten – kein Wunder also, dass 2014 die deutsche Brotkultur von der UNESCO-Kommission e.V. ins "Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes" aufgenommen wurde.
Deutschland ist ein Brotland
Die regionale Vielfalt deutscher Brotsorten ist das Ergebnis hiesiger geologischer, klimatischer und politischer Entwicklungen. Gerade in Zeiten der Not kam dem Brot eine besondere Rolle zu: Im 1. Weltkrieg wurden sogenannte Brotkarten verteilt, die als Mittel zur Kontrolle und Verteilung von Lebensmitteln dienten, insbesondere von Brot, das als wichtigstes Grundnahrungsmittel galt. Die Karten legten fest, wie viel Brot und andere Lebensmittel jeder Haushalt pro Woche erhalten durfte, um den Bedarf der Bevölkerung und der Armee zu decken und Lebensmittelknappheiten zu verhindern.
Wer heute kurz vor Ladenschluss zum Bäcker geht, hat oft die volle Auswahl: Baguette, Kuchen oder Vollkornbrot. Dieses Überangebot führt laut einer Studie der Umweltorganisation WWF zu einer enormen Vergeudung von Lebensmitteln. In manchen Geschäften landet demnach jede fünfte Backware im Müll.
Diese Verschwendung von Lebensmitteln ist nicht nur ein ethisches Problem, sondern auch schlecht für unsere Umwelt. Die Herstellung und der Transport benötigen Energie, Wasser und Ackerflächen.
Im Jahr 2015 wurden allein in deutschen Bäckereien 612.000.000 kg Backwaren als Verlust gekennzeichnet, d. h. auf die eine oder andere Weise weggeschmissen.
Um diese Backwaren herzustellen, wurden etwa 885.600 Tonnen Treibhausgase ausgestoßen.
Das entspricht dem jährlichen Ausstoß von ca. 656.000 Kleinwagen.
Wie können wir es vermeiden, dass so viel weggeschmissen wird?
Der Vortagsbäcker
Das tägliche Brot ist hier von gestern
Jeden Abend, wenn in den Filialen der Bäckerei Geiping die Ladentüren geschlossen wurden, stellte sich dasselbe Problem: Brot, Brötchen und Kuchenstücke blieben in den Regalen zurück, ohne verkauft zu werden.
Ein Phänomen, das nicht selten ist – ein Großteil der in Bäckereien produzierten Backwaren wird weggeschmissen. Denn: Auch abends erwarten Kundinnen und Kunden volle Regale. Um das anbieten zu können, produzieren viele Bäckereien mehr als sie tatsächlich verkaufen können. Und alles, was dann noch übrig bleibt, landet im Müll.
Die Lüdinghausener Bäckereikette Geiping will mit ihren vier Vortagsfilialen dieses Problem bekämpfen. Das Konzept ist denkbar einfach: Backwaren, die nicht verkauft werden, werden am nächsten Tag in gesonderten Filialen zum halben Preis weiterverkauft.
Dafür sortieren die Verkäuferinnen am Abend die übrig gebliebenen Backwaren der regulären Filialen in Körbe ein. Diese werden am nächsten Morgen abgeholt und in die Zentrale gebracht, wo sie noch einmal überprüft werden. Im Anschluss geht es für Brot, Brötchen und Kuchen in die Vortagsläden, wo sie zum halben Preis verkauft werden. Was dann noch übrig bleibt, dient schließlich als Futter für Tiere auf Bauernhöfen.
Aber wie wird das Konzept von Kundinnen und Kunden aufgenommen? Sind sie dazu bereit, Backwaren vom Vortag zu kaufen?
Mit KI zu weniger Verlusten?
Trotz der Möglichkeit, die nicht verkauften Produkte in einer ihrer vier Vortagsfilialen zu verkaufen, versucht die Großbäckerei Geiping ihre Verlustmenge weiter zu minimieren. Ein Werkzeug, das ihnen dabei hilft, ist Foodtracks. Die Firma mit Sitz in Münster bietet eine Softwarelösung an, die eine ideale Bestell- und Produktionsmenge von Backwaren zu ermitteln soll. Das System basiert auf einer künstlicher Intelligenz.
Bei der Berechnung der Produktionsmenge werden verschiedene Aspekte, wie beispielsweise das Wetter der nächsten Tage, die Lage der Filiale, der Wochentag und die verkaufte Menge der Verkäufe der vorherigen Tage einbezogen. Das System ist auch dazu in der Lage, verschiedene Arten von Backwaren und ihre typischen Verkaufsmuster zu erkennen. Bestimmte Frühstücksprodukte, wie Schokocroissants, sollen gegen Mittag ausverkauft sein. Schnittbrötchen gibt es im besten Fall bis in den Abend hinein.
Inzwischen gibt es zahlreiche Vortagsbäckereien in Deutschland. Das Prinzip Lebensmittel zu retten und dabei sogar Geld zu sparen, kommt bei Kundinnen und Kunden gut an.
Auch andere alternative Verkaufskonzepte haben sich entwickelt.
Liebe auf den zweiten Blick
The Good Food
The Good Food verkauft Lebensmittel, die andere wegschmeißen
Auf den ersten Blick sieht die kleine Filiale von The Good Food in der Kölner Venloer Straße aus wie ein ganz normales Lebensmittelgeschäft. Buntes Obst und Gemüse, Backwaren und verschiedene abgepackte Waren von bekannten Herstellern füllen die Regale. Die Holztafel vor dem Geschäft fällt vielen erst auf den zweiten Blick auf:
"Krummes und Abgelaufenes"
Bei The Good Food werden nicht die üblichen Lebensmittel verkauft, die wir aus dem Supermarkt um die Ecke kennen. Die Waren, die hier verkauft werden, sind abgelaufen. Auf rund 30 Quadratmetern geht nur das über die Ladentheke, was sonst niemals seinen Weg zu den Kundinnen und Kunden gefunden hätte: krummes Gemüse, abgelaufene Cracker oder Brot vom Vortag. Denn die wären eigentlich in der Mülltonne gelandet.
Die freiwilligen Helferinnen und Helfer ernten selbst bei Landwirten in der Region nach und kooperieren mit Herstellern, die ihre Produkte kurz vor oder nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums abgeben. Auch einige Bäckereien aus der Umgebung geben ihre nicht verkauften Backwaren an The Good Food weiter.
Welche Lebensmittel nach dem Ablaufdatum weiter im Handel verkauft werden dürfen, regelt das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Grundsätzlich ist es so, dass ein abgelaufenes MHD nicht zwingend dazu führt, dass eine Ware nicht mehr verkauft werden darf. Es liegt jedoch in der Verantwortung der Händler:innen, zu überprüfen, ob das Lebensmittel noch einwandfrei ist. Wenn nicht, muss es aus dem Verkauf genommen werden. Wenn jedoch keine Mängel erkennbar sind, darf es weiterhin verkauft werden, ohne dass es eine zeitliche Begrenzung dafür gibt.
Bei The Good Food zahlen die Kund:innen grundsätzlich nur soviel, wie sie bereit sind, für die Waren zu zahlen. Die Gründerin des Unternehmens, Nicole Klaski, ist davon überzeugt, dass dieses Konzept ein wichtiger Schritt ist, um Menschen dazu zu bringen, über den Wert von Lebensmitteln nachzudenken. Durch das ungewöhnliche Bezahlkonzept würde das Bewusstsein geschärft, dass im "normalen" Einzelhandel etwas nicht stimmt.
Der Ansatz funktioniert: Viele Stammkund:innen kommen regelmäßig vorbei und neben dem Laden in Ehrenfeld gibt es inzwischen noch drei weitere The Good Food-Standorte in Köln.
Dass Lebensmittel nicht vom Regal in die Mülltonne wandern, liegt in der Hand jedes Einzelnen. Das zu verhindern, ist gar nicht so schwierig und kann sogar eine Menge Geld einsparen. Diese Tipps helfen dabei, weniger Lebensmittel wegzuwerfen.
Einkaufszettel benutzen
Den Wocheneinkauf vorzuplanen und im Blick zu haben, was die Woche so ansteht, spart nicht nur Zeit und Nerven im Supermarkt ein, sondern auch bares Geld.
Zeit nehmen
Volle Regale und bunte Aufsteller ringen um unsere Aufmerksamkeit. Sonderangebote verlocken dazu, mehr zu kaufen, als wir eigentlich wollen. Wer sich im Supermarkt Zeit zum Einkaufen nimmt und nicht ablenken lässt, kann in Ruhe Preise vergleichen und die Qualität der Lebensmittel überprüfen.
Packungsgröße beachten
Große Packungen sind häufig günstiger. Aber brauche ich überhaupt so viel? Oder reicht auch die kleinere Größe?
Bewusst auswählen
Obst und Gemüse mit kleinen Macken oder Mängeln schmecken nicht schlechter. Und wer Lebensmittel mit einem nahen Verfallsdatum kauft, kann zusätzlich Geld sparen.
Haltbarkeit beachten
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gibt an, wie lange ein Produkt mindestens seine typischen Eigenschaften, wie Farbe und Konsistenz, behält. Genießbar kann es aber noch lange über das Datum hinaus sein. Bei abgelaufenen Lebensmitteln im Kühlschrank gilt daher: schauen, riechen und schmecken, ob das Produkt noch genießbar ist.
Reste verwerten
Nicht immer lassen sich beim Kochen Reste vermeiden. Diese müssen aber nicht direkt in die Tonne wandern: Mit ein bisschen Fantasie lässt sich aus den Resten vom Vorabend ein tolles neues Mittagessen zubereiten.
Richtig kühlen und lagern
Brot und Backwaren gehören in eine Brotbox, um möglichst lange frisch zu bleiben. Tomaten sollten generell nicht in der Nähe anderer Lebensmittel aufbewahrt werden, denn sie strömen Ethylengas aus und lassen andere Früchte schneller reifen. Wer weiß, welche Lebensmittel wie gelagert werden sollten, hält vieles länger frisch.
Das Reduzieren von Lebensmittelabfällen ist nur ein Weg, um CO2 einzusparen. Es entbindet uns nicht von der Verantwortung, uns auch in anderen Lebensbereichen klimabewusst zu verhalten. Fast alles, was wir tun, hat Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima.
Wir haben die Verantwortung, die Natur zu schützen und zu erhalten.
Es liegt an uns, den Kurs zu ändern und uns für eine nachhaltige Zukunft einzusetzen.
Für eine lebenswerte Umwelt, auch für zukünftige Generationen.
Illustrationen
Quellen
DGE-Ernährungsbericht (Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., 2020)
Geschäftsberichte Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks
Systematische Erfassung des Lebensmittelabfalls der privaten Haushalte in Deutschland (Bundesministerium für Ernährung und Wirtschaft, 2020)
Unser täglich Brot: Von überschüssigen Brotkanten
und wachsenden Brotbergen (WWF, 2018)
Wege zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen. Pathways to reduce food waste (REFOWAS) (Thünen, 2019)